„Dich bringen, wohin du nicht willst“
 
Sonntag Oculi (11.3.2007)
 
 
In der vergangenen Woche lief der Zweiteiler „Die Flucht“ im Fernsehen. Noch sind sie wach – die Erinnerungen der Menschen, die 1945 unter unsäglichen Umständen ihre Heimat verlas-sen mussten. Manchmal kommen sie erst jetzt, nach über 60 Jahren zur Sprache. Und auch jetzt noch fließen Tränen, fehlen Worte. Zu tief sind die Wunden.
Junge Menschen verlassen unsere Heimat. Sie gehen nach Süddeutschland, nach Hamburg, ja auch nach Skandinavien. Sie gehen nicht gerne, aber sie gehen. Denn Arbeit gibt es hier kaum für sie. Manchmal kommen sie zurück, um in ihrer alten Heimat Kinder taufen zu lassen oder zu heiraten. Sie haben Wurzeln hier. Aber die sind kaum gefragt.
 
Manch einer ging in den vergangenen Jahren in die Arbeitslosigkeit. Manch einer ging in die Schuldenfalle. Für manch einen war die Last zu groß – er ging in die Depression.
Immer wieder treffe ich auf hochbetagte Menschen in den Seniorenheimen, die sich die ihre letzte Lebensphase anders vorgestellt haben und nun voller Trauer sind über ihre erlebte Wirklichkeit. Das sind Ortsveränderungen – innerliche und äußerliche. Wir kennen sie, haben sie zum Teil selber erlebt und erlitten. Eigentlich hatten wir uns unser Leben doch ganz anders vorgestellt. Und nun sind wir an einem Ort gelandet, in einer Situation, die wir gar nicht wollten. Es ist schwer damit fertig zu werden.
 
Oftmals gelingt es nicht. Zu viele Fragen bleiben offen. Trotzdem ist es wohl fast der Normalfall, dass unser Leben anders verläuft, als wir uns das vorstellen, erhoffen, wünschen. Das ist Grund traurig zu sein oder wütend, verzagt oder ratlos. Trotzdem – es ist ja nicht das Ende. Es geht weiter. Manchmal wird es gut. Wir machen Erfahrungen, die uns sonst erspart geblieben wären, aber manchmal bereichern sie uns auch. Alte Menschen nach ihrem Leben befragt, können in der Regel für ihr Leben dankbar sagen, dass es gut war – erstaunlich für mich, wenn ich hören muss, was sie alles erlebt und erlitten haben. Oft höre ich dann, daß sie sich nicht in ihrem Leben von allen guten Geistern verlassen fühlen mussten, sondern erfahren durften, dass Gott sie hält und auch selbst aus persönlichen Katastrophen letztlich Gutes wachsen lassen kann.
 
Ich denke an den Propheten Jeremia. Von ihm handelt der Predigttext. (Jer. 20, 7-13) Und ich denke an Jesus Christus. Auch er musste dahin gehen, wo er ganz gewiss nicht hin wollte: an’s Kreuz. Er hat sich darin mit uns allen solidarisiert, die wir in unserem Leben oftmals dort landen, wo wir nicht hinwollen. Und doch war das auch für ihn nicht das Ende. Denn, ob etwas gut, gelungen, sinnvoll war – das stellt sich erst am Ende heraus.
 
Pfr. Manfred Hojczyk, Pasewalk